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DIE WELT VOR ÜBER 4300 JAHREN

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Jäger & Sammler

Europa vor rund 4’500 Jahren: Nichts wird damals aufgeschrieben, höchstens an Felsen gezeichnet und in Höhlen an die Wände gemalt. Oder es werden gigantisch grosse und kunstvoll gemeisselten Steinen errichtet, um auszudrücken, was den Glauben und das Selbstverständnis der Menschen ausgemacht hat. Stonehenge etwa und die Pyramiden entstehen in ebendieser Epoche, auch die Himmelsscheibe von Nebra, und unsere Vorfahren fangen in just dieser Zeit zaghaft damit an, dem Berg Kupfer und Zinn abzutrotzen, um die Metalle in einer Legierung zu einem effizienten Werkstoff zu verarbeiten: Bronze. 

Auch die gesellschaftliche Entwicklung beginnt neue Wege zu gehen: Der Ackerbau nimmt vor 10’000 Jahren seinen Anfang und begann sich in den nachfolgenden Jahrtausenden allmählich zu etablieren, während aber noch immer und für lange grosse Teile der Menschen als freie Jäger und Sammler das Land durchstreiften. 

Zwar haben wir keine schriftlichen Zeugnisse aus dieser Urzeit, aber alle Spuren und Hinweise und die geborgenen Artefakte legen nahe, dass wir Abschied nehmen von der Vorstellung, unsere Ahnen seien vor 4’300 Jahren tumbe Bären- und Rentierjäger gewesen, die mit plumpen und klobigen Waffen und Werkzeugen zu Werke gingen. Vielmehr offenbaren uns die Wissenschaften, dass wir es bereits vor der Nutzbarmachung von Erzen mit gebildeten, informierten und in vielerlei Hinsicht begabten Menschen zu tun haben.       

Auch der Pfeilbogen, den man damals benutzt worden ist und wahrscheinlich die wichtigste Jagd und Verteidigungswaffe dargestellt hat, ist im Grunde bereits ein Hochleistungsgerät. Er wird aus Eibenholz gefertigt und erweist sich bereits vor 5’000 Jahren als so leistungsfähig, dass dessen Form und Machart in Europa bis ins 19. Jahrhundert praktisch unverändert geblieben ist. Der Bogen «unseres» Blutland-Kriegers ist mehr oder weniger identisch mit dem berühmten britischen Langbogen, der vor allem im Spätmittelalter zur wichtigsten Waffe der englischen Armee wurde und wesentlich zum Schlachtenglück der Briten – etwa bei der legendären Schlacht bei Azincourt (25. Oktober 1415) – beigetragen hat. Allein, der Erfolg dieser Waffe wurde der Eibe zum Verhängnis: Der Hunger der Briten nach Eibenholz wurde nämlich so unermesslich, dass bereits im 13. Jahrhundert die Eiben-Bestände auf der Insel erschöpft waren. Also kaufte man das Bogenholz auf dem Kontinent. Allein Mitte des 16. Jahrhunderts wurden aus Österreich und Bayern in gerade mal 15 Jahren wegen der englischen Langbogen fast eine Million Eiben auf die Insel geliefert. Tatsächlich hat sich seit dannzumal bis heute der Eiben-Bestand nie mehr richtig erholt, weshalb die Eibe inzwischen zu den geschützten Baumarten gehört. (Das Eibenholz für die im Film verwendeten Bögen wurde übrigens unter Aufsicht des zuständigen Försters gewonnen.)  

Die ersten Grossreiche

In Ägypten und im fruchtbaren Halbmond haben sich in dieser Epoche bereits die ersten Grossreiche geformt. In Ägypten herrscht ein Pharao durch einen ausgeklügelten Beamtenapparat und die gewaltigen Pyramiden von Gizeh werden bereits vor 4’500 Jahren errichtet. In Mesopotamien besteht schon um 2’500 v. Chr. das Reich der Sumerer, in dem sich eine flexibel anwendbare Keilschrift entwickelt hat, mit der sich nicht nur die Belange von Verwaltung und Gesetz, sondern auch Sagas und Geschichten aufschreiben lassen. 

In derselben Zeit, in der Europa noch geheimnisvoll bleibt und Jäger und Krieger durchs Gebirge ziehen, wird zwischen Euphrat und Tigris die erste grosse Saga der Menschheitsgeschichte aufgeschrieben: Das «Gilgamesch-Epos». Dieses Epos erzählt eine facettenreiche Geschichte um den König von Uruk – eine mythische Figur, die aber vermutlich auf eine historische Persönlichkeit zurückgeht. Das Epos kreist bereits vor über 4’000 Jahren um die grossen Fragen der Menschheit: Leben, Tod und Unsterblichkeit. In der Saga trauert Gilgamesch um seinen verstorbenen Gefährten Enkidu und sucht, nach dem Schockerlebnis nach Mittel und Wegen, dem Tod zu entrinnen und unsterblich zu werden. Gilgamesch trifft auf den Helden Utnapischtim, der als einziger Mensch Unsterblichkeit erlangt hat. Doch klärt der Held den König auf, dass er eine Ausnahme bilde und für den Mensch das Sterben unausweichlich sei. Utnapischtim ermahnt den König, durch gute Taten zwar nicht unsterblich, jedoch bei den Menschen in Erinnerung zu bleiben, um auf diesem Weg die Zeit zu überdauern. Der wichtige und herausragende Teil des Epos aber bildet – fast 2’000 Jahre bevor die biblische Geschichte der Arche Noah aufgeschrieben wurde – auch schon eine mächtige und alles verschlingende Sintflut, weil die Götter den Menschen zürnten.   

Krieg und Frieden in der frühen Bronzezeit

Im Osten Europas und im Inneren Asiens formen sich Kulturen, die sich ganz aus der Symbiose mit dem Pferd entwickeln, und im Raum des Schwarzen Meers und in der heutigen Ukraine vermuten Forscher auch die Erfindung des Rades. Reitervölker drängen ab dem 3. Jahrtausend v. Chr. gen Westen und beeinflussen die gesellschaftliche Entwicklung in Mitteleuropa massgeblich (und spielen im Plot dieses Films eine wesentliche Rolle).

Im Herzen Europas manifestiert sich zwischen 3’500 bis 2’200 v. Chr. eine erste Art von Hochkultur, die wir heute unter der Bezeichnung als Epoche der «Schnurkeramiker» kennen. Es sind Jahrhunderte, die eine mehr oder weniger friedliche Epoche markieren, die aber um 2’500 bis 2’200 ein Ende finden, als unbekannte Völker aus dem Osten erscheinen; Horden und Stämme sind wohl wie ein wilder Sturm über das Land gekommen. 

Geister & Dämonen

Wir wissen in etwa, woran die Ägypter geglaubt haben und wie ihre Vorstellungen eines jenseitigen Lebens aussahen. Im Zweistromland erweisen sich die göttlichen Belange etwas komplizierter und geheimnisvoller; Fakt aber ist, dass auch die Völker und Stämme zwischen Euphrat und Tigris an Götter, Geister und Dämonen und an ein Leben nach dem Tod glaubten. Wir vergessen beim Betrachten der prähistorischen Geschichte oft, dass auch die biblischen Geschichten der Patriarchen – Abraham, Isaak und Jakob – in grauer Vorzeit spielen; die historische Forschung verortet Geschichten um 1’800 – 1’700 v. Chr., also in einer Zeit, in der die Menschen auch in der Levante trotz der Nutzung von Kupfer, Zinn und Bronze noch in grossen Teilen nach jungsteinzeitlichen Parametern funktionierten.

Geheimnisvoller zeigt sich im Neolithikum und in der frühen Bronzezeit allerdings der europäische Raum, und trotz zahlreichen archäologischen Funden bleibt vieles im Dunkeln. Wir wissen zum Beispiel nicht, woran genau diese Menschen damals geglaubt haben. Doch wir haben eine Vielzahl von Belegen, dass man an eine Parallelwelt glaubte, an ein Jenseits wohl auch, an die Existenz von Geistern und Dämonen und an eine spirituell belebte Natur. Vieles davon dürfte sich in den schamanischen Religionen in Amerika und in Sibirien erhalten haben und noch heute sind dort diese Mythen und diese religiösen Vorstellungen gesellschaftsprägend, wodurch wir zumindest über Anhaltspunkte verfügen. Ich habe mich in Zuge meiner Dokumentarfilme, die religiöse Themen zum Inhalt hatten, intensiv auch mit Schamanismus beschäftigt und ich greife in meiner Geschichte und in meinem Drehbuch auch immer wieder auf die schamanischen Erlebnisse und Belehrungen zurück, die mir bei den Lakota-Sioux und bei den Cheyenne und namentlich bei deren «Ceremony Man» Johnny Russell zuteilwurden, ein Schamanismus, der in seiner Anlage, aber auch im Praktizieren wohl Jahrtausende alt ist und ins Steinzeitliche zurückreicht. 

Die Spiritualität ist ein wesentlicher Faktor bei sogenannten Naturvölkern und darum spielt im Film Glaube und Spiritualität eine wichtige Rolle, allerdings, ohne dass der Plot in irgendeiner Weise in einen mythologischen Fantasy-Bereich abdriftet. Vielmehr wird hier auf der Erlebnisebene der Protagonisten erzählt: Wir erleben mit ihnen deren subjektive Realität; es ist dies die Ebene der Intuition, die in diesem Ausmass heute kaum mehr oder zumindest höchstens marginal eine Rolle spielt, für die Menschen damals aber eine unverrückbare Wirklichkeit bildete, in der sie sich bewegten und in der sie dachten und fühlten.  

Ein zweites Gesicht

Masken nehmen bei Naturvölkern und insbesondere im Schamanismus eine wichtige, manchmal sogar entscheidende Rolle ein. Einerseits bieten Masken Schutz vor äusseren Einflüssen und wirken insbesondere gegen böse Geister und Dämonen. In diesem Sinn erscheint die Maske als ein Symbol der Angst: Der Träger fürchtet eine andere, eine fremde oder ihm vielleicht sogar bekannte Macht; in Gefahr wähnt dieser Mensch sich in jedem Fall und so greift er zu einer Art List, um die Bedrohung zu täuschen. Und er nimmt – sollte er dieses zweite Gesicht dauerhaft tragen – erhebliche Einschränkungen und Unannehmlichkeiten in Kauf aufgrund seiner Angst vor einer konkreten oder vielleicht bloss diffusen Gefahr. 

Masken können aber auch eine Identifikation und/oder eine Verbindung mit etwas anderem oder jemandem anderen herstellen. In der Altsteinzeit tauchen bereits Hirschmasken und Kopfbedeckungen im «Hirschformat» auf und legen nahe, dass sich der Schamane mittels Kleidung und Ausstattung ganz auf die Ebene des Hirsches zu begeben suchte. Der zum Teil sogar exzessive Gebrauch von Masken ist in Europa und im westasiatischen Raum bis in die Bronzezeit und auch darüber hinaus in die frühe Eisenzeit historisch belegt. In der Neuzeit verwendeten vor allem die indigenen Stämme an der Pazifik-Küste Tier-Masken und Tier-Kostüme, die mit ausserordentlichem Aufwand und grosser Sorgfalt gefertigt wurden. Der Masken-Kult ist auch heute noch in Afrika präsent und die afrikanischen Masken haben vor allem anfangs des 20. Jahrhunderts auch die europäische Kunstgeschichte stark beeinflusst.  

Masken und zweite Gesichter können den Träger schützen. Aber letztlich können Masken auch zur Unterwerfung dienen: Wer gezwungen wird, sein Gesicht zu verbergen, hat sein eigens Gesicht letztlich verloren. Wer gezwungen wird, seine Identität zu verstecken, geht ihr verlustig und wer mittels Maske am Sprechen gehindert wird, verliert letztlich seine Stimme und sein Wort. Wenn die Massen aber in dieselbe Form gezwungen werden, erzielen Masken und Gesichtsverhüllungen nebst dem Unterdrückungseffekt natürlich auch den Effekt der Gleichschaltung.

Der im Film stattfindende Maskenkult hat keineswegs Fantasy-Charakter, sondern basiert auf historischen und ethnologischen Fakten. Parallelen zur Moderne und zur heutigen Zeit können gezogen werden. Aber der im Film gezeigte Maskenkult bleibt durch seine historische Authentizität auch ohne jede Art von Symbolhaftigkeit glaubwürdig.  

Heldenreise

Die Archäologie stösst auf immer mehr Massengräber und die Schädel und Skelette machen klar, dass es nach einer längeren ruhigen Periode zu grösseren Umwälzungen gekommen ist. Die Zeit zwischen 2’500 und 2’300 v. Chr. war eine Wendezeit und zahlreiche archäologische Funde lassen kaum einen Zweifel: Eine Epoche relativen Friedens endet damals und Zeiten von Chaos und Zerstörung nehmen ihren Anfang. Und das bietet uns eine interessante Bühne, um eine Geschichte zu erzählen, die in einem neolithisch-prähistorischen Roadmovie alle grundlegenden Elemente enthält, wie sie vor über 2’000 Jahren vom griechischen Philosophen und Rhetoriker Aristoteles entworfen und von Joseph Campbell in der heute anerkannten und allgemein angewandten Disziplin des Storytellings definiert worden sind und «Blutland»/»Bloodlands» markiert in diesem Sinn geradezu in klassischer Weise die sogenannte «Heldenreise». 

Die Wucht der Bilder

Bronzeäxte, Pfeilbögen aus Eibenholz, Leder- und Pelzkleidung und archaische Kopfbedeckungen mit Geweihen und Hörnern geben den Bildern ein martialisches Gepräge, dunkle Schluchten und karge Berge, vor allem aber die ockerfarbenen Hochmoore und die steppenartigen Hochebenen und schroffe Felsen schaffen eine archaische Bühne. 

Die Menschen empfinden und erfahren die Natur und alles, was sie umgibt, als belebt und ein magisches Denken durchdringt ihr Denken und Fühlen. Geister und Dämonen sind allgegenwärtig und die mystische Präsenz der Ahnen spielt eine grosse Rolle. Das Übersinnliche und die «Anderswelt» ist für die Menschen so real wie ihre Träume und dass die Parallelwelt in das materielle Leben eingreift, ist für die Menschen nur logisch – eine Denkweise, die noch lange anhält, wie uns etwa die griechischen Sagen des klassischen Altertums eindrücklich zeigen: Die Göttin Pallas Athene steht den Griechen und insbesondere Ithakas listenreichem König bei, während sich der Meeresgott Poseidon auf die Seite der Trojaner schlägt und Odysseus zürnt, weil durch dessen List Troja gefallen war. Homers Sagenzyklus markiert zusammen mit den alttestamentlichen Erzählungen der Bücher Josua und Richter auch das Ende der Epoche, die in der Zeit «unseres» Kriegers ihren Anfang nahm: Die Bronzezeit. 

Es ist eine Zeit und eine Geschichte, in der es keinen Platz für die Ängstlichen zu geben scheint, und wer zögert, den reisst der Wind der Geschichte, der Sturm des Kriegs oder das Heer der Geister mit sich fort. Es ist, wie erwähnt, eine Epoche, in der es entweder Ja heissen muss oder Nein. Zwischentöne sind nur schwer auszumachen und Schummerfarben findet man höchstens in den Schattierungen des Nebels, der die Wälder, Moore und Berge einhüllt, wenn die Sonne ihr Gesicht verbirgt. In diesem Sinn soll der Film auch in seiner Gestaltung und Bildgebung mit diesen Elementen arbeiten und mutig und stilprägend zeigt sich das Colour Grading, das kontrastreich und düster eben jener Kompromisslosigkeit Rechnung trägt, die einer solchen Saga innewohnt. 

«Blutland»/»Bloodlands» ist, wie erwähnt, ein visueller Film. Die Wucht des Bildes steht im Mittelpunkt und dominiert die Erzählstruktur. Das gesprochene Wort wird sparsam und sehr gezielt eingesetzt, was dem Bild einen noch wichtigeren Platz einräumt. Damit unterscheidet sich dieses Projekt vom Gros der Schweizer Filme, auch, weil es sich hier um eine Art historischen Streifen handelt, aber auch, weil er so sehr auf das Visuelle setzt – in der Intuition vielleicht im Ansatz verwandt mit Fredi M. Murers archaischem «Höhenfeuer» (1985), der mitunter die urwüchsige Leere eindrücklich zelebriert und in diesem Sinn vielleicht noch mehr mit Simon Jaquemets brachialen Film «Chrieg» (2014). Anders als die genannten Filme funktioniert mein Film aber auch mittels einer sorgfältig erarbeiteten Ausstattung – Requisiten und Kostüme – und insbesondere durch die phantastischen Masken, die dem Film einerseits etwas Mythisches verleihen, andererseits etwas sehr Archaisches wachrütteln und dieses archaische Gefühl zweifelsohne an das Publikum weitervermitteln wird. Es darf deshalb durchaus behauptet werden, dass so etwas, wie ich es vorhabe, hier noch nicht gemacht worden ist und man das so im Schweizer Film noch nie gesehen hat.

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